Die Natur ist die bessere Chemikerin
Bei der künstlichen Herstellung von Beta-Carotin fallen sie an, bei anderen Stoffen auch: tonnenweise Abfallprodukte. Wenn es nach Nuno Maulide von der Fakultät für Chemie geht, ist damit bald Schluss. Er sucht nach nachhaltigen Reaktionen inspiriert von der Natur, der "besten Chemikerin der Welt".
In
einer Reaktion werden Moleküle umgewandelt, sie setzen Energie frei
oder nehmen Energie auf. So die Theorie. Doch Moleküle verhalten sich
nicht immer so, wie ChemikerInnen es gerne hätten, erklärt Nuno Maulide,
Professor für Organische Synthese an der Universität Wien. In der
Wissenschaftspraxis wird daher kurzerhand auf Triebkräfte
zurückgegriffen – Stoffe, die hinzugefügt werden, um Reaktionen auch
unter schlechten Bedingungen zu ermöglichen. Dabei problematisch:
Einerseits ist die Trennung der Stoffe nach der Beisetzung von
Triebkräften eine Herausforderung, andererseits bleiben die Triebkräfte
am Ende als nutzloses Nebenprodukt zurück.
Am Ende bleibt vor allem eines: Abfall
Die
Wittig-Reaktion, ein Beispiel, das Nuno Maulide in jeder
Einführungsvorlesung an der Fakultät für Chemie vorstellt, soll das
Nebenprodukt-Problem veranschaulichen: Der deutsche Wissenschafter Georg
Wittig vollbrachte 1947 einen Geniestreich, indem er eine breit
anwendbare Methode zur Synthese von Olefinen entwickelte. Als einer von
vielen nutzte der Chemiekonzern BASF die "Wittig-Reaktion", um
Beta-Carotin im großen Stil herzustellen. Doch mit jeder Tonne
Beta-Carotin entstanden drei Tonnen Triphenylphosphinoxid – ein
überflüssiges Abfallprodukt.
Von der Natur lernen
Dass Reaktionen, welche neue Kohlenstoffbindungen knüpfen, auch ohne Abfallprodukte funktionieren, konnte der Chemiker nun in seinem Projekt VINCAT beweisen, für das er den prestigeträchtigen Consolidator Grant des European Research Councils (ERC) erhielt. Gelernt hat er von "der wohl besten Chemikerin der Welt", der Natur: "In der Natur wäre die Wittig-Reaktion keine Erfolgsstory gewesen. Die meisten natürlichen Reaktionen funktionieren atomökonomisch, das heißt es entstehen keine Nebenprodukte. Und wenn Stoffe zurückbleiben, werden sie sofort in andere Verbindungen recycelt", so Maulide.
Im Bruchteil einer Sekunde
In VINCAT entwickelt Maulide Reaktionen, die neue Kohlenstoffbindungen knüpfen und den nachhaltigen Reaktionen aus der Natur nahekommen. Energiereiche Vinyl-Kationen, die nur Sekundenbruchteile als Zwischenprodukte existieren, ermöglichen die umweltfreundlichen Reaktionen. Die chemischen Zwischenstufen konnten Maulide und sein Team erst kürzlich durch Massenspektroskopie und theoretische Berechnungen nachweisen.
Aufruhr um die nachhaltige Chemie
Die Forschungsergebnisse von Maulide und seiner Arbeitsgruppe sorgten für Furore. Es folgten zahlreiche Publikationen, Presseanfragen und Auszeichnungen für die Uni Wien-ChemikerInnen. "Wir waren die ersten, die nachweisen konnten, dass nachhaltige Chemie nicht nur auf dem Papier funktioniert", freut sich Maulide. Das engagierte Team, in dem "die Chemie stimmt", die Förderungen durch den Europäischen Forschungsrat, aber auch die Universität Wien als optimal vernetzten Forschungsstandort nennt Maulide als Erfolgsfaktoren, die VINCAT erst möglich gemacht haben.
VINCAT geht weiter
VINCAT kann nicht auf alle Reaktionen angewandt werden – noch nicht. "Ich bin selten zufrieden und will immer das Nächste", schmunzelt Maulide. Er und seine Arbeitsgruppe forschen also weiter in Sachen umweltfreundlicher Chemie und sind schon auf die nächste Gruppe gestoßen, mit denen Reaktionen ohne Verschwendung möglich sind. Die zweite Auflage von VINCAT ist vielleicht bald schon Realität. (hm)