Gott als Kröte
Ob Magie oder Blasphemie – theologische Gelehrte des Mittelalters konnten sich einiges erlauben. Für ihr Elise-Richter-Projekt ist Philosophiehistorikerin Edit Anna Lukács zu den Anfängen der Universität Wien zurückgegangen, um die Ausverhandlung des göttlichen Wissens im 14. Jahrhundert zu erforschen.
In
den Antrittsvorlesungen des Mittelalters ging es hitzig zu: Neue Ideen
wurden debattiert und widerlegt, Grenzen der Orthodoxie überschritten
und Theologen der Häresie angeklagt. "Der Ton war höflich, aber
spannungsvoll", so Edit Anna Lukács. Rund vier Jahre lang hat die
Elise-Richter-Stipendiatin Vorlesungsnotizen, Disputationen,
Bibelkommentare und mittelalterliche Handschriften von Gelehrten der
Universität Wien analysiert.
Bücher in Ketten und verschwundene Quellen
Lukács
hat eine Vielzahl an Katalogen durchforstet und über 7.000 Seiten
mittelalterliche Dokumente gesichtet. Fündig geworden ist sie in
Klosterbibliotheken und Buchbeständen des Collegium ducales,
dem ersten Wiener Universitätsgebäude. Das heute nicht mehr
existierende Bauwerk verfügte bereits Ende des 14. Jahrhunderts über
einen eigenen Bibliothekssaal. Die mit Abstand größte Büchersammlung des
mittelalterlichen Wiens befand sich jedoch im Dominikanerkloster: "Auch
Angehörige der Universität nutzten die Bücher – das Kloster war
gegenüber der Alma Mater und unweit der Bursen, also den
mittelalterlichen StudentInnenheimen, gelegen", betont Lukács: "In der
Klosterbibliothek waren die Wälzer zwar angekettet, dennoch wissen wir
über eine Sammlung an Disputationen, die im Laufe der Jahre
abhandengekommen und heute nicht mehr auffindbar ist."
Aussagekräftige "Kritzeleien"
Besonders
fasziniert ist die Philosophiehistorikerin von den handschriftlichen
Kommentaren der Gelehrten neben dem Text: "Manche dieser Dokumente sind
seit Jahrzehnten nahezu unberührt, obwohl sie wertvolles Wissen bergen."
Sie sind Zeugnis der mittelalterlichen Zusammenarbeit: Aus einer
vorherigen Lektüre wurde ein Gedanke übernommen, neben dem Text
vermerkt, bei späterer Rezeption von Kollegen aufgegriffen und
weitergesponnen. "Manchmal überkam mich das Gefühl, direkt im Kopf der
Professoren zu sitzen und den Duft der Tinte in der Nase aufsteigen zu
spüren", schmunzelt Lukács.
Der Ideenaustausch fand aber nicht
nur innerhalb der Alma Mater statt: "Die Universität Wien war schon im
Mittelalter international, unterschiedliche Traditionen trafen hier
aufeinander". Durch ihre präzise Quellenarbeit kann Lukács den Weg des
göttlichen Wissens ziemlich genau rekonstruieren: die Thesen kamen von
Oxford über Paris und Prag nach Wien (zum uni:view-Artikel "Oxforder Theologie in Wien").
Spiel mit der Wahrheit
Die
theologische Theorie in Wien hat sich jedoch nicht linear entfaltet, es
gab auch "Ausreißer" aus der allgemein anerkannten Lehre: Einer von
Lukács spannendsten Funde ist eine Aufzeichnung des deutschen Theologen
Heinrich von Langenstein, der zunächst an der Sorbonne studierte und ab
1384 an der Universität Wien unterrichtete. In einer Vorlesung
bezeichnete er Gott als Kröte – ein blasphemischer Sprachakt und im
Mittelalter unter Strafe. "Es war verboten, wurde aber trotzdem
vorgetragen, um Studierende von der Verwendung der Philosophie in der
Theologie und der Blasphemie abzuhalten. Dieses Spiel mit der Sprache
und der theologischen Wahrheit hat mich fasziniert", so Lukács.
Zurück an die Anfänge der Uni Wien
Die
bewegte Geschichte der Universität Wien wird übrigens nicht nur
hierorts studiert: "ForscherkollegInnen in Frankreich, Deutschland und
Rumänien haben Handschriften der Universität Wien entdeckt und
analysiert – die Spannweite unserer Universitätsgeschichte ist
unglaublich." Lukács selbst hat mittlerweile ihren Forschungsmittelpunkt
nach Kanada verlegt, um als Visiting Fellow am Pontifical Institute of
Mediaeval Studies der University of Toronto die Geschichte des
Mittelalters aus einer anderen Perspektive zu bearbeiten.
Türen öffnen für Anschlussforschung
Der
baldige Abschluss ihres Elise-Richter-Projekts ist für die junge
Philosophiehistorikerin kein Ende, sondern vielmehr ein Anfang: "Meine
Ergebnisse sollen Türen für andere WissenschafterInnen öffnen und ein
Anreiz sein, sich mit dieser reichen Periode des Mittelalters zu
beschäftigen." Es gibt noch viele Handschriften, die nur darauf warten,
gelesen zu werden. (hm)