Sputnik und der Weg zu guter Kunst
Kupferfiguren in Meterhöhen und unscheinbare Betonbrocken aus der Hand eines jungen Manfred Wakolbingers auf der Suche nach einem Satelliten
In der Kindheit sind es Marterpfähle auf dem Spielplatz gewesen – gut fünfzig Jahre später Metallskulpturen auf der Biennale. „Damals war es mir zwar noch nicht klar, aber da war schon irgendwie etwas da. Es war die Vorbereitung“, reflektiert Manfred Wakolbinger. Sie brachte ihn mit seinen Werken zu Institutionen wie die Documenta oder die Wiener Secession.
Die Werkstatt
Das Atelier im 20. Wiener Gemeindebezirk befindet sich hinter einer schweren metallenen Tür. Auf dem rechten Türflügel ist der Name Wakolbinger in schwarzer Farbe aufgesprüht. Der Künstler selbst trägt schwarze Lederjacke und darunter einen grauen Hoodie – locker und leger. Das Klimpern der Reißverschlüsse seiner Bikerjacke hallt im Umfeld metallener Figuren. Das Atelier strahlt trotz Betonbrocken, geschlungenem Metall und einer Werkbank voll Arbeit etwas Gemütliches aus. Die wichtigen Dinge zuerst: Der gebürtige Oberösterreicher schaltet die Kaffeemaschine ein: „Zucker?“ – „Nein, danke!“
„Ich hatte das Glück, in einer Zeit aufzuwachsen, in der ein ziemlicher Aufbruch war“, beginnt Wakolbinger zu erzählen und nippt an seinem Espresso, „Die Hippies, die Musik, die Stones.“ Diese kulturelle Bewegung habe damals sehr viel geöffnet. „Wenn es die Musik damals nicht gegeben hätte, wäre das alles nie so zum Tragen gekommen.“ Reste dieser bunten Hippiebewegung sind auf seinem bedruckten T-Shirt noch zu erkennen.
Wakolbinger begann seine künstlerische Arbeit gemeinsam mit seiner Frau Anna Heindl im Kleinen. Sie ist Schmuckdesignerin. Auf den ersten Blick ist der Weg von einem Ring zu einer meterhohen Skulptur aus reinem Kupfer weit, aber Schmuck werde oft unterschätzt: „Es ist schade, wie Schmuck wahrgenommen wird. In einem kleinen Schmuckstück stecken genauso viele Gedanken drinnen, wie in einer Skulptur, nur halt in einem anderen Maßstab“, sagt er stolz über die Arbeit seiner Frau.
Von Mitterkirchen zur Milchstraße
Vor 53 Jahren umkreiste der erste Sputnik-Satellit die Erdumlaufbahn. Gerade mal fünf Jahre alt, schaute Manfred Wakolbinger in Mitterkirchen begeistert vom Gehsteig aus gen Himmel zur Milchstraße. „Damals war das in allen Medien – also im Radio – sonst hat es eh nichts gegeben“, erinnert er sich zurück. Heute wie damals ist er von der Reichweite des menschlichen Einflussbereiches überwältigt: „Eine Erfindung des Menschen, die über eine so große Distanz funktioniert.“ Auch die Gegenbewegung beschäftigt ihn: „Wie schlecht kann der Mensch eigentlich mit sich selbst umgehen?“ Diese Diskrepanz sei ein laufender Motor in seinen Arbeiten. Die Frage nach dem eigenen Einflussbereich bringt ihn zum Nachdenken: „Es geht darum Fragen aufzuwerfen und dem Zuseher und den Menschen konkrete Überlegungen zu transportieren und sie damit zur Auseinandersetzung aufzufordern“, ist Wakolbinger überzeugt.
Die Essenz guter Kunst
„Was da hinten hängt, war bei der Skulpturenbiennale in Bad Homburg“, erklärt Wakolbinger stolz. Er zeigt auf eine Wand, die mit Fotoausdrucken seiner Werke gepflastert ist. Ein Foto zeigt eine Wiese, auf der er eine Gruppe von fünf Skulpturen. Die Anekdote dazu: Nach der Ausstellung, beim abendlichen Verdauungsspaziergang mit Freunden sahen sie, dass sich zu den fünf Skulpturen eine neue Figur gesellt hat: eine junge, lebendige Tänzerin. „Sie hat meine Skulpturen gesehen und mithilfe dieser ihre Abschlussarbeit für einen Tanzworkshop gemacht“, freut sich Wakolbinger.
„Die Menschen haben ein großes Geschenk, und das ist die Intuition.“ Man solle nicht immer alles erklären. Erklärte Kunst, sagt Wakolbinger, habe den Sinn verfehlt. „Das Wichtigste ist, dass sie in anderen Menschen etwas bewegt und anregt. Dafür mache ich Kunst, und wenn das jemand schafft, ist es auch gute Kunst.“
Happy stillos
Stil hat Wakolbinger keinen bestimmten: „Ich glaube schon, dass meine Werke immer etwas miteinander zu tun haben. Aber Stil... – ich bin stillos, happy stillos“, lacht er und setzt zum letzten Schluck an der Espressotasse an.
Eines der neueren Werke wurde von der Entstehungsgeschichte der indonesischen Insel Sumba inspiriert: „Früher hat es dort für die Einwohner eine Leiter zwischen Himmel und Erde gegeben, die jederzeit offen stand. Als die Menschen zu streiten begannen, schickte der Himmel das Wasser“ – ähnlich der biblischen Sintflut. „Die Guten kamen in den Himmel, die Bösen mussten ertrinken. Als der Platz im Himmel aber zu klein war, wurde die Insel Sumba erschaffen. Ab diesem Zeitpunkt durfte die Leiter nur noch einmal im Leben passiert werden.“
Als Wakolbinger aufsteht, um kurz durch sein Atelier zu führen, ist die Leiter schon zu sehen. Über zwei Ebenen erstreckt sich die Skulptur. Sie glänzt in reinem Kupfer, als ob die indonesische Sonne direkt darauf hinunterstrahlen würde. So wurden aus Marterpfählen über Umwege Skulpturen, Skulpturen die weltweit Resonanz finden.